Design ist Kunst ist Design ist Kunst ist Design (Urt. v. 13.11.2013, Az. I ZR 143/12 – Geburtstagszug; Fortführung von BGH, Urt. v. 12. 5. 2011, Az. I ZR 53/10 – Seilzirkus)

Der BGH hat heute sein mit Spannung erwartetes Urteil zum Urheberrechtsschutz für Gebrauchsdesign erlassen und entschieden, dass "an den Urheberrechtschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an den von Werken der zweckfreien Kunst." ... mehr

Damit gilt für schöpferische Leistungen des Designs und Kommunikationsdesigns, der Produkt- und Industriegestaltung, etc. künftig ebenfalls der Maßstab der "kleinen Münze" um zu beurteilen, ob diese urheberrechtlichen Schutz genießen und z.B. die §§ 32, 32a UrhG, die den Schöpfern urheberrechtlich geschützter Leistungen eine unabdingbaren und unverzichtbaren Anspruch auf eine "angemessene" Vergütung und u.U. auf eine angemessene Nachvergütung bei großen wirtschaftlichen Erfolgen zusprechen, anwendbar sind:

Bundesgerichtshof, Mitteilung der Pressestelle Nr. 186/2013 vom 13.11.2013: Bundesgerichtshof zum Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass an den Urheberrechtschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an den von Werken der zweckfreien Kunst.

Die Klägerin ist selbständige Spielwarendesignerin. Die Beklagte stellt Spielwaren her und vertreibt sie. Die Klägerin zeichnete für die Beklagte im Jahr 1998 unter anderem Entwürfe für einen Zug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Ziffern aufstecken lassen ("Geburtstagszug"). Dafür erhielt sie ein Honorar von 400 DM.
Die Klägerin ist der Ansicht, bei ihren Entwürfen handele es sich um urheberrechtlich geschützte Werke. Die vereinbarte Vergütung sei – jedenfalls angesichts des großen Verkaufserfolgs des Geburtstagszugs – zu gering. Sie nimmt die Beklagte deshalb auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch.

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat angenommen, die von der Klägerin angefertigten Entwürfe seien urheberrechtlich nicht geschützt. Nach der hergebrachten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien bei Werken der angewandten Kunst, soweit sie einem Geschmacksmusterschutz zugänglich seien, höhere Anforderungen an die für einen urheberrechtlichen Schutz erforderliche Gestaltungshöhe zu stellen als bei Werken der zweckfreien Kunst. Die Entwürfe der Klägerin genügten diesen Anforderungen nicht. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit das Berufungsgericht einen Anspruch auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Bezug auf Verwertungshandlungen, die nach dem 1. Juni 2004 vorgenommen worden sind, abgelehnt hat.

In seiner früheren Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof die höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst, die einem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, damit begründet, dass für solche Werke der angewandten Kunst mit dem Geschmacksmusterrecht ein dem Urheberrecht wesensgleiches Schutzrecht zur Verfügung stehe. Da sich bereits die geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung abheben müsse, sei für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, das heißt ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung zu fordern.

An dieser Rechtsprechung kann – so der Bundesgerichtshof – im Blick auf die Reform des Geschmacksmusterrechts im Jahr 2004 nicht festgehalten werden. Durch diese Reform ist mit dem Geschmacksmusterrecht ein eigenständiges gewerbliches Schutzrecht geschaffen und der enge Bezug zum Urheberrecht beseitigt worden. Insbesondere setzt der Schutz als Geschmacksmuster nicht mehr eine bestimmte Gestaltungshöhe, sondern die Unterschiedlichkeit des Musters voraus. Da zudem Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können, rechtfertigt der Umstand, dass eine Gestaltung dem Geschmacksmusterschutz zugänglich ist, es nicht, ihr den Urheberrechtsschutz zu versagen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind deshalb – so der Bundesgerichtshof – grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer "künstlerischen" Leistung zu sprechen. Dies gilt auch für die im Jahr 1998 angefertigten Entwürfe der Klägerin. Die Klägerin hat allerdings nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keinen Anspruch auf Vergütung, soweit die Beklagte ihre Entwürfe vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes am 1. Juni 2004 verwertet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte im Blick auf die hergebrachte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, wegen einer Verwertung dieser Entwürfe nicht auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch genommen zu werden.

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das zu prüfen haben wird, ob von der Klägerin entworfenen Spielwaren den geringeren Anforderungen genügen, die nunmehr an die Gestaltunghöhe von Werken der angewandten Kunst zu stellen sind.

Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug – LG Lübeck – Urteil vom 1. Dezember 2010 – 2 O 356/09 – OLG Schleswig – Urteil vom 22. Juni 2012 – 6 U 74/10; 

Noch in der Entscheidung "Seilzirkus" (U.v. 12. 5. 2011, Az. I ZR 53/10) hatte der BGH die Frage der Gleichstellung von Design und Gebrauchskunst mit freikünstlerischen Arbeiten offen gelassen und Urheberrechtsschutz verneint für eine rein technische Gestaltung, Rz. 33:

"Da bereits nicht angenommen werden kann, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Kletternetzen der Kl. um Schöpfungen individueller Prägung handelt, kommt es nicht auf den Grad des ästhetischen Gehalts dieser Kletternetze an. Es kann daher offenbleiben, ob an der vom BerGer. referierten Rechtsprechung festzuhalten ist, nach der bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werkes zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst."

Insoweit gibt es weiterhin eine Einschränkung des Urheberrechtsschutzes für Gebrauchskunst (insb. Industriegestaltung/-Produkte), die der Frage der Beurteilung des "schöpferischen Maßes" – kleine Münze ja oder nein – vorgelagert ist, BGH a.a.O., Rz. 25:

"Bei Gebrauchsgegenständen, die bestimmten technischen Anforderungen genügen müssen und technisch bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, sind die Möglichkeiten einer künstlerisch-ästhetischen Ausformung zwar nicht ausgeschlossen, aber regelmäßig eingeschränkt (vgl. BGH, GRUR 1982, 305 [306f.] – Büromöbelprogramm). …"). Bei solchen Formgestaltungen stellt sich daher in besonderem Maß die Frage, ob die gewählte Form durch den Gebrauchszweck technisch bedingt ist (vgl. Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, UrheberR, 4. Aufl., § 2 UrhG Rdnr. 162). Deshalb muss bei derartigen Werken der angewandten Kunst genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit der Gebrauchsgegenstand über seine von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet ist (vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, § 2 Rdnr. 159; vgl. auch BGHZ 181, 98 Rdnr. 45 = GRUR 2009, 856 – Tripp-Trapp-Stuhl)" und a.a.O., Rz. 36: "Das kann dazu führen, dass ein Werk der angewandten Kunst, das eine ebenso große ästhetische Wirkung ausübt wie ein Werk der zweckfreien Kunst, anders als dieses keinen Urheberrechtsschutz genießt."

S. auch die Pressemeldung der AGD Alllianz Deutscher Designer.

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