GVR Tageszeitungen gelten auch für kurze journalistische Texte wie Lokalnachrichten und Bildunterschriften (OLG Nürnberg, Urteil v. 29.12.2020, Az. 3 U 761/20)

Das OLG Nürnberg hat mit Endurteil vom 29.12.2020, Az. 3 U 761/20, in einem Rechtsstreit betreffend die "angemessene Vergütung" nach § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG zur Berechnung der Nachvergütung nach den Regeln der GVR Tageszeitungen entschieden und sich dabei ausführlich mit dem urheberrechtlichen Schutz journalistischer Kurztexte (Lokalnachrichten, Bildunterschriften) befasst. Demnach können auch kurze Berichte über lokale Ereignisse und "Bildunterschriften", die lediglich in knapper Form den Inhalt einer Fotografie beschreiben, nach § 2 Abs, 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG urheberrechtlichen Schutz genießen, wenn sie von hinreichender Individualität geprägt sind und in einer für Journalismus typischen Weise ein aktuelles Geschehen in einen größeren Kontext rücken (a.a.O., Rz. 33 ff., Rz. 46 ff.): ... mehr

"Soweit der Senat den Standpunkt vertreten hat, dass bei einfachen Berichten über lokale Ereignisse, die im entsprechenden Teil einer Tageszeitung veröffentlicht werden, die Schöpfungshöhe nicht selbstverständlich ist, hält er hieran uneingeschränkt fest. Der dort angesetzte Maßstab und die weitgehende Gleichsetzung mit kleinen Gebrauchstexten erscheint dem Senat allerdings jedenfalls im Lichte der neueren Rechtsprechung als zu streng.
1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt ein „Werk" vor, wenn es sich um ein Original handelt, das eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers ist, und eine solche Schöpfung zum Ausdruck gebracht wird (vgl. EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18, GRUR 2020, 736, Rn. 22 – Brompton ./. Get2Get; EuGH, Urt. v. 12. September 2019 – C-683/17, GRUR 2019, 1185, Rn. 29 – Cofemel). Ein Gegenstand kann erst bzw. bereits dann als Original angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18, GRUR 2020, 736, Rn. 23 – Brompton ./. Get2Get; EuGH, Urt. v. 12. September 2019 – C-683/17, GRUR 2019, 1185, Rn. 30 – Cofemel). Wurde die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist und folglich urheberrechtlich geschützt werden kann (vgl. EuGH, Urteil v. 11. Juni 2020 – C-833/18, GRUR 2020, 736, Rn. 24 – Brompton ./. Get2Get; EuGH, Urt. v. 12. September 2019 – C-683/17, GRUR 2019, 1185, Rn. 31 – Cofemel).

Der Bundesgerichtshof hat bei Werken der angewandten Kunst für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung lediglich gefordert, dass eine Schöpfung individueller Prägung gegeben ist, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen" Leistung gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12, BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 „Geburtstagszug", Rn. 15). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Werkbegriffs auch bei gewissen Gebrauchszwecken dienenden Sprachwerken (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2019 – 7 C 1.18, GRUR 2020, 189, Rn. 19 ff.). Hieraus ergibt sich die Bedingung, dass ein Gestaltungsspielraum gegeben sein und genutzt worden sein muss, und dass die Frage, ob ein Schriftwerk einen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad besitzt, sich nach dem geistig-schöpferischen Gesamteindruck der konkreten Gestaltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen, bemisst (vgl. KG, Beschluss vom 18.07.2016 – 24 W 57/16, GRUR-RR 2016, 20168)
2) Damit ist an dem aufgestellten Erfordernis zwar festzuhalten, doch sind die Anforderungen niedrig anzusetzen. Die vorgelegten Artikel gehen sämtliche über solche, in denen lediglich Veranstaltungen angekündigt oder ohne jede redaktionelle Aufbereitung Informationen weitergegeben werden, hinaus. Hiervon konnte sich der Senat nach Durchsicht der vorgelegten Texte überzeugen. Auch die Beklagte konnte nicht konkret aufzeigen, dass sich unter diesen Texten solche befinden, die – wie wohl die unstreitig vorhandenen weiteren Texte, für die die Klägerin aber keine Nachvergütung fordert – von Vereinen oder anderen Organisationen erhalten und ohne signifikante Bearbeitung weitergegeben worden sind. 

Die übereinstimmenden Passagen nehmen damit insgesamt den Texten nicht die Schöpfungshöhe. Alle Artikel sind für sich genommen von Individualität geprägt und rücken in einer für Journalismus typischen Weise ein aktuelles Geschehen in einen größeren Kontext. 

4) Auch die (von der Beklagten als "Bildunterschriften" charakterisierten) Texte, die lediglich in knapper Form ein Lichtbild beschreiben, einordnen und kommentieren, erreichen die zu verlangende Schöpfungshöhe.
Zum einen liegt eine individuelle Prägung vielfach bereits darin, dass die Klägerin Situationen und Eindrücke des Tagesgeschehens, die ein anderer vielleicht für unbedeutend empfinden mag, eingefangen hat; bereits die Stoffauswahl, d.h. die Idee, bestimmte Vorgänge zum Gegenstand eines Berichts zu machen, bedeuten ein Mindestmaß an Individualität. Zum anderen erschöpfen sich die Formulierungen nicht in einer nüchternen Beschreibung des Bildinhalts und der Szene, sondern greifen Empfindungen des abgebildeten Geschehens oder des Betrachters auf. Deutlich wird dies beim Text „stark Regen ließ den Wasserpegel…" vom 27. Juni 2016 am Kontrast zwischen „klarem Wasser" und „brauner Brühe" beim Bild vom starkregenschwangeren Bach. Der Text „Das schöne Wetter" vom 9. Juni 2016 erhält Originalität und Individualität durch die Wortkreation „Riesensand-Strandhaufen" und die Erwähnung der Brotzeit unter freiem Himmel, die mit „schmeckte doppelt gut" Emotionen mitteilte. Der Text vom 23. Juli 2016 „Zum 65. Geburtstag gratuliert" stellt in kompakter Form die maßgeblichen Informationen dar und umschreibt das Geschenk mit „W…(Ort) Spezialität", was wiederum beim Leser und Betrachter die Aufmerksamkeit auf das Foto lenkte.

Über bloße Bildunterschriften, wie sie etwa auch bei der Bebilderung von Artikeln oftmals anzutreffen sind, gehen die Texte jeweils umfangsmäßig und inhaltlich hinaus. Wie an anderer Stelle noch auszuführen sein wird, spricht die Regelung in § 3 der GVR Tageszeitungen, nach der mindestens 20 Zeilen zu vergüten sind, gerade gegen den Standpunkt der Beklagten, Kurztexte solcher Art stellten überhaupt keinen "Beitrag" dar. 
6) Bei den von der Beklagten im Schriftsatz vom 1. Oktober 2020 benannten Texten, die zu einem erheblichen Teil Sportergebnisse, Namen oder Termine wiedergeben, hält der Senat folgende Differenzierung für angebracht:

a) Die Mitteilung von Personennamen, Ergebnissen etc. lässt den Charakter als journalistische Leistung nicht entfallen, solange diese in den Bericht integriert sind und dieser insgesamt als redaktionelle Aufbereitung eines Geschehens verstanden werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Informationen zwar nicht unerheblichen Raum einnehmen, jedoch durch entsprechende einleitende und abschließende Passagen in ein Gesamtgefüge eingebunden sind und kommentiert/gewürdigt („Schlusslicht war…") werden, weil dies den Texten insgesamt eine Schöpfungshöhe verleiht; sie heben sich dadurch gegenüber einer bloß neutralen Auflistung der Daten zu den einzelnen Ergebnissen etc. ab.

b) Der Senat sieht sich in solchen Fällen auch grundsätzlich nicht in der Lage, die für die Nachvergütung relevante Zeilenanzahl herabzusetzen. Es müsste ein „fiktiver Bericht" entwickelt werden, der zwar auf die detaillierte Auflistung verzichtet, jedoch – was möglich und zum Verständnis vielfach sogar geboten gewesen wäre – einen Kernbestand an Informationen der Ergebnisse mitteilt. Anderes gilt allerdings dann, wenn die Auflistung der Ergebnisse zwar nicht (wie hinsichtlich der Winterpower-Serie) unter einer gesonderten Gesamtüberschrift gesetzt ist, jedoch einen auch äußerlich (z.B. durch eine entsprechende Zwischen-Überschrift) klar abgegrenzten Teil bildet. Ist der Artikel nicht so gestaltet, kann dagegen aus dem genannten Grund eine Reduzierung auf das fiktiv Erforderliche nicht erfolgen, und muss sich die Beklagte daran festhalten lassen, dass sie die Artikel so angenommen hat, wie sie von der Klägerin eingereicht wurden. Es hätte ihr freigestanden, darauf zu dringen, dass die Ergebnislisten der Fußballturniere gesondert gesetzt werden und damit keinen Teil des Berichts über die Veranstaltung bilden.

c) Uneingeschränkt Nachvergütung geltend machen kann die Klägerin daher im Hinblick auf die Artikel „Der Gastgeber setzt sich durch" vom 12. Juli 2016, „Geburtstage wurden gefeiert" vom 3. Oktober 2016, „Zahlreiche Vereinsmitglieder geehrt" vom 21. Dezember 2016, „Christus mansionem bededicat" vom 5. Januar 2017, „Fluthelfernadel erhalten" vom 24. Januar 2017, „Zum Kränzchen geladen" vom 5. Januar 2018, „AH des TV R…(Ort) verteidigt Titel" vom 22. Januar 2018, „Torverhältnis entscheidet über Platz eins" vom 23. Januar 2018, „Zweimal bejubeln Teams des Gastgebers." vom 19. Februar 2018, „Gesellige Stunden für Geburtstagskinder" vom 27. März 2020, „Das 50-jährige wird groß gefeiert" vom 27. März 2018, „Mit dem Esel nach Jerusalem" vom 5. April 2018, „Sachausschüsse gebildet" vom 4. Mai 2018 „Maiandacht für Bewohner des Heims" vom 19. Mai 2018, „Gewinner der Verlosung ermittelt" vom 5. Juni 2018, „Ein cooler Sommer für die Kinder" vom 4. Juli 2018 und „Grundschule gibt sich sportlich" vom 24. Juli 2018. Hier sind jeweils die Namen durch geeignete einleitende oder abschließende Formulierungen in den eigentlichen Bericht integriert, mag es sich auch über längere Strecken um bloße Aufzählungen handeln. Ein derartiges Vorgehen ist insbesondere beim Sportjournalismus in Lokalzeitungen verbreitet anzutreffen.

d) Dagegen ist die anzusetzende Zeilenzahl bei den Texten „Schimmern wie ein Regenbogen" (um 15 Zeilen) „Mit dem Sakrament kommt die Aufgabe" (um 30 Zeilen) vom 5. Juni 2018, „Wilder Westen mit dem Bürgermeister" (um 89 Zeilen; der Ansatz der Beklagten beschwert die Klägerin jedenfalls nicht) vom 19. Juni 2018 zu kürzen, zumal die Auflistung der Erstkommunikanten, Gefirmten etc. bzw. der Veranstaltungen des Ferienprogramms bereits äußerlich durch eine Absatzbildung mit geeigneter Überschrift und Trennlinie abgesetzt ist. Gleiches musste der Senat für den Artikel „Erwachsene auf Rang 13, Jugend auf Platz 7" (um 11 Zeilen) feststellen, in dem am Ende des Artikels unter dem Abschnitt „Die Mannschaften" die Namen aufgeführt sind und sich lediglich einleitend triviale Beschreibung wie „Zur Jugendmannschaft gehören:" finden.

e) In dem Interview-Artikel „Wichtig ist, eine klare Linie zu verfolgen" vom 27. Januar 2017 sind auch die Zeilen zu berücksichtigen, die die Fragen der Klägerin wiedergeben. Zum einen besteht die Aufgabe des Journalisten bei Interviews gerade darin, Fragen so zu stellen, dass sie den Interviewpartner zu den gewünschten Äußerungen bringen. Zum anderen müsste, wenn die Antworten des Befragten in einen Fließtext gegossen werden, regelmäßig ebenfalls die Fragestellung umschrieben werden, was nicht weniger Platz in Anspruch nehmen würde. …

8) Soweit die Beklagte schließlich generell darauf aufmerksam gemacht hat, sie habe Artikel der Klägerin zur Veröffentlichung angenommen, obwohl darin in einem an sich zu breitem Umfang berichtet wird, ist dies ohne rechtliche Bedeutung. Entschließt sich eine Person, eine urheberrechtlich geschütztes Werk eines anderen zu verwerten, schuldet sie nach § 32 UrhG die dafür vorgesehene Vergütung.

9) Im Übrigen muss der Senat anmerken, dass sich die Beklagte daran festhalten lassen muss, dass sie die Artikel der Klägerin für die Befüllung des Lokalteils in der L…(Ort) Zeitung verwendet hat. Offenbar war sie der Auffassung, dass sie damit die Leserschaft in geeigneter Weise anspricht und deren Bedürfnisse nach Information und Unterhaltung befriedigt. Es entspricht auch der Erfahrung des Senats, dessen Mitglieder regelmäßig eine Tageszeitung mit Lokalteil lesen, dass sich vergleichbare Artikel regelmäßig in entsprechenden Abschnitten einer Zeitung finden und ein großer Teil der Leser und Abonnenten Wert darauf legt, dass über Ereignisse wie Sportturniere, Vorstandswahlen, Ehrungen etc. in einfacher, aber umfassender Form berichtet wird, weil sie sich selbst oder Bekannte darin wiederfinden."

Das OLG Nürnberg geht dabei von der Anwendbarkeit der GVR Tageszeitungen auf die Klägerin aus, und zwar sowohl in persönlicher und sachlicher Hinsicht (a.a.O., Rz. 60 ff.), als auch in zeitlicher Hinsicht auch für solche Beiträge, die erst nach der verlegerseitgen Kündigung der GVR Tageszeitungen zum 28. Februar 2017 zur Veröffentlichung eingereicht wurden, zumindest als"Orientierungshilfe". Das Merkmal der Hauptberuflichkeit in den Gemeinsamen Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen hänge nicht von qualitativen Merkmalen, wie der Qualität der eingereichten Artikel oder der Art und dem Umfang der journalistischen Ausbildung ab, sondern v.a. vom tatsächlichen Umfang der journalistischen Tätigkeit für den Zeitungsverlag (Anzahl eingereichter Artikel/Monat, Umfang, Anzahl aufgesuchter Veranstaltungen etc.); dabei sei Ausstellung eines Presseausweises und die Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung nach den GVR und der Rechtsprechung ausdrücklich als ein Indiz für die hauptberufliche Tätigkeit eines Journalisten anzusehen (a.a.O., Rz. 93 ff.):

"6. Für den Zeitraum ab März 2017 können die GVR Tageszeitungen als Orientierungshilfe für das nach § 32 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2 UrhG Angemessene herangezogen werden.

a) Der Senat geht mangels Relevanz zugunsten der Beklagten davon aus, dass die ausgesprochene Kündigung der GVR Tageszeitungen überhaupt rechtliche Wirkungen zeitigte. Auf die gewichtigen Erwägungen, die mangels rechtsgeschäftlichen Charakters von gemeinsamen Vergütungsrichtlinien eine einseitige Kündigungsmöglichkeit einer Vertragsseite verneinen, wenn ein ordentliches Kündigungsrecht nicht explizit vorgesehen ist (Wandtke/Leid, ZUM 2017, 609 (611 ff.)) geht daher der Senat nicht mehr ein. Der Senat könnte allerdings nicht annehmen, dass die beklagtenseits vorgetragenen Umstände zur Entwicklung der Auflagenzahlen und Werbeeinnahmen in den Jahren von 2010 bis 2017 so erheblich sind, dass sie eine Vertragsanpassung entsprechend § 313 BGB oder gar eine außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB gestatten würden (vgl. Wandtke/Leid, ZUM 2017, 609 (614)).

b) Angemessen i.S.v. § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG a.F./n.F. ist eine Vergütung, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer (…) und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist. Die angemessene Vergütung ist erforderlichenfalls gem. § 287 Abs. 2 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung und billigem Ermessen zu bestimmen (BGH, Urt. v. 23. Juli 2020 – I ZR 114/19, GRUR 2020, 1191, Rn. 34; BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148 Rn. 31 – Talking to Addison; BGH, Urteil v. 21. Mai 2015, I ZR 39/14, GRUR 2016, 67 Rn. 23 – GVR Tageszeitungen II; BGH, Urteil v. 20. Februar 2020 – I ZR 176/18, GRUR 2020, 611 Rn. 121 – Das Boot II). Zur Ermittlung der angemessenen Vergütung i.S.v. § 32 Abs. 2 UrhG können auch solche gemeinsamen Vergütungsregeln i.S.v. § 36 UrhG als Vergleichsmaßstab und Orientierungshilfe herangezogen werden, deren Anwendungsvoraussetzungen nicht (vollständig) erfüllt sind und die deshalb keine unwiderlegliche Vermutungswirkung i.S.v. § 32 Abs. 3 S. 1 UrhG entfalten. Eine solche Heranziehung als Indiz im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallabwägung erfordert dabei nicht, dass sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung der Vergütungsregel erfüllt sind. Ausreichend ist vielmehr eine vergleichbare Interessenlage; so dass auch Vergütungsrichtlinien herangezogen werden können, die vergleichbare Werknutzungen einer anderen Branche betreffen. Soweit mit Blick auf die Bemessung der angemessenen Vergütung erhebliche Unterschiede in der Interessenlage bestehen, ist diesen im Einzelfall ggf. durch eine modifizierte Anwendung der Vergütungsregel Rechnung zu tragen (siehe zum Ganzen BGH, Urteil v. 23. Juli 2020 – I ZR 114/19, GRUR 2020, 1191, Rn. 36; BGH, Urt. v. 23. Juli 2020 – I ZR 114/19, GRUR 2020, 1191, Rn. 45 m.w.N.; BGH, Urteil v. 20. Februar 2020 – I ZR 176/18, GRUR 2020, 611 Rn. 57 – Das Boot II; BGH, Urteil. v. 21. Mai 2015 – I ZR 62/14, GRUR 2016, 62, Rn. 16 u.ö.; BGH, Urteil v. 7. Oktober 2009, I ZR 38/07, BGH, Urteil v. 7. Oktober 2009, I ZR 38/07, BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148, Rn. 32 ff. – Talking to Addison; (Wandtke/Leid, ZUM 2017, 609 (613)).

c) Vortrag dazu, wie sich die Vergütungssituation im Zeitraum 2017/2018 tatsächlich darstellte, was also üblich war und von den Beteiligten möglicherweise (gegen einen zwingenden Zusammenhang BGH, Urteil v. 7. Oktober 2009, I ZR 38/07, BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148, Rn. 22 m.w.N. – Talking to Addison) als redliche Vergütung empfunden wurde, hat keine der Parteien gehalten. Allein die Behauptung der Beklagten, die Beträge könnten nicht mehr gezahlt werden, stellt keinen Vortrag dar, mit der sie den Substantiierungsanforderungen genügen könnte.

d) Vorliegend sind die GVR Tageszeitungen, wie dargelegt, in sachlicher und persönlicher Hinsicht uneingeschränkt anwendbar. Die fehlende zeitliche Anwendbarkeit, die sich daraus ergibt, dass die Verlegerseite eine Kündigung ausgesprochen hat und daher die rechtliche Wirkung gem. § 36 UrhG entfallen ist, steht einer Heranziehung als Orientierungshilfe bei Berücksichtigung der Einzelfallumstände, insbesondere auch der strukturellen Veränderungen auf dem Markt der Tageszeitungen, nicht entgegen. Vielmehr deckt die Interessenlage die Anwendung und sind im maßgeblichen Zeitraum der ersten 1 1/2 Jahre nach Wirksamwerden der Kündigung keine Entwicklungen eingetreten, die einer Anwendung entgegenstünden oder eine Modifikation z.B. in Form gewisser Abschläge gebieten würden. …"

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